Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit: „Politik wird mit dem Warenkorb gemacht“

Philippe Gröschel, Tabea Rößner, Dr. Volker Ullrich, Muhanad Al-Halak, Juliane Petrich, Dr. Joachim Bühler | Foto: Tobias Koch
Philippe Gröschel, Tabea Rößner, Dr. Volker Ullrich, Muhanad Al-Halak, Juliane Petrich, Dr. Joachim Bühler | Foto: Tobias Koch
Veröffentlicht am 07.07.2022

Von Susanne Stracke-Neumann

Wie kann man Digitalisierung und Nachhaltigkeit gemeinsam denken und wie groß ist der Einfluss der Verbraucher:innen auf die Herstellung von Ressourcen schonenden Produkten? Das war die Frage in der letzten FishBowl im Berliner BASECAMP von Telefónica vor der Sommerpause. Philippe Gröschel, Director Government Relations bei Telefónica Deutschland, stellte in seiner Begrüßung zwei Aspekte an den Anfang des Diskussionsabends: Zum einen habe es in der Generation seiner Eltern eine ungeheure technologische Entwicklung mit einem unfassbaren Verbrauch von Ressourcen gegeben. Wie kann dieser Lebensstandard unter den heute notwendigen Umweltschutzprinzipien erhalten werden? Wie weit entwickelt sich das Verbraucherverhalten durch eigenen Antrieb in eine nachhaltige Richtung, wie weit ist dafür staatliche Regulierung notwendig?

Muhanad Al-Halak, Tabea Rößner, Juliane Petrich und Dr. Volker Ullrich | Foto: Tobias Koch

Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer vom TÜV-Verband und Kooperationspartner dieser Veranstaltung, stellte die positive Wirkung von Regulierung bei den derzeitigen „Megatrends“ Digitalisierung und Nachhaltigkeit heraus: „Bei der Nachhaltigkeit kommt der Speed eigentlich erst durch die Regulierung.“ Als Beispiel nannte er den „Green Deal“ der Europäischen Union, durch den Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent werden soll, und der ab 2035 den Verbrennungsmotor zur „No-Go-Area“ mache. Er erwarte vielmehr „ein Feuerwerk an Regulierung“ auf dem Weg zum Klimaschutz.

Tabea Rößner, MdB Bündnis 90/Die Grünen, Vorsitzende des Digitalausschusses des Deutschen Bundestages, Berichterstatterin wirtschaftlicher Verbraucherschutz | Foto: Tobias Koch

Welchen positiven Einfluss die Digitalisierung auf die Nachhaltigkeit haben könne, wollte die Moderatorin Juliane Petrich (TÜV-Verband) von der Vorsitzenden des Digitalausschusses im Bundestag, der Grünen Tabea Rößner, wissen. Die frühere Journalistin und Redakteurin stellte heraus, dass Digitalisierung die Prozesse effizienter und damit Ressourcen schonender gestalten könne, beispielsweise den Düngereintrag in der Landwirtschaft. Digitale Technik könne unnötige Wege ersparen bei Konferenzen, im Gesundheitswesen und der Verwaltung, sowie die Reduzierung im Stromverbrauch erleichtern. Außerdem plädierte die Politikerin aus Rheinland-Pfalz, die auch Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz ist, für ein Recht auf Reparatur und damit Produkte, die lange funktionieren. Politik habe die Aufgabe, die richtigen Ziele zu setzen, damit Technologie sich nützlich und gemeinwohlorientiert entwickelt.

Als ein großer Freund von Regulierungen erwies sich auch der eigentliche Oppositionspolitiker in der Runde, der Augsburger Rechtsanwalt und CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Volker Ullrich, Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestags und in der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz: „Ohne Regulierung würde gar nichts funktionieren.“ Eine Ressourcen schonende Produktion sei letztlich für den Hersteller günstiger, dürfe aber nicht nur dem Unternehmensgewinn dienen. Ab 2025 werde es eine Recyclingpflicht für Textilien geben, eine Folge positiver Regulierung. Recycling und Reparatur stelle Anforderungen an das Produktdesign, solle aber auch einen Wettbewerbsvorteil für haltbare Produkte gegenüber Billigware erzeugen. Mehr Recycling, so Ullrich, müsse vor allem bei Handys greifen, um die wertvollen Inhaltsstoffe weiterzuverwenden. Er sehe allerdings beim Recht auf Reparatur das Hindernis des Fachkräftemangels, es gebe zu wenig Menschen mit dem entsprechenden Knowhow. Rößner empfahl deshalb, die an vielen Orten entstehenden Repair-Cafés zu unterstützen.

Dr. Volker Ullrich, MdB CDU/CSU Sprecher für Verbraucherschutz | Foto: Tobias Koch

Wieviel Einigkeit in dieser Runde herrschte, hob der FDP-Abgeordnete Muhanad Al-Halak, Mitglied im Ausschuss für Umweltschutz und Verbraucher, lachend hervor. Als Abwassermeister hatte der im Irak geborene Abgeordnete des niederbayerischen Landkreises Deggendorf aber auch ein negatives Beispiel für Regulierung: Abwasserbescheide würden für 20 Jahre ausgestellt, seien technologisch damit bald überholt und setzten den Kommunen zu wenig Anreize für die Weiterentwicklung ihrer Anlagen. Al-Halak votierte dafür, insgesamt mehr auf Anreize als Verbote zu setzen, damit Kommunen und Verbraucher:innen sich für bessere Technologie und effizientere Geräte entscheiden. Ein positives Regulierungsbeispiel für Verbraucher:innen sieht er in der seit 1. Juli 2022 geltenden Pflicht für den Einzelhandel, gebrauchte Elektrogeräte zurückzunehmen.

Um sich für effizientere Geräte zu entscheiden, brauchen die Verbraucher:innen mehr und verständlichere Informationen über die Produkte, auch um nicht auf „Greenwashing“ hereinzufallen, sagte Rößner. Sie empfahl, auf den digitalen Produktpass zu setzen, der alle Auskünfte biete. Denn: „Politik wird mit dem Warenkorb gemacht.“ Am besten sollten auch Reparaturanleitungen veröffentlicht werden und Ersatzteile durch den Digitaldruck „on Demand“ hergestellt werden, so dass für Reparaturen keine großen Ersatzteillager notwendig seien.

Muhanad Al-Halak, MdB FDP Mitglied im BT Ausschuss für Umwelt und Verbraucherschutz | Foto: Tobias Koch

Dazu wies Al-Halak darauf hin, dass es den Widerstand großer Hersteller gebe, ihre Produkte reparierbar zu machen und Software-Updates zur Verfügung zu stellen. Das sei ein Thema auch für die EU in Brüssel. Dort hatte am Tag dieser FishBowl-Diskussion das Europäische Parlament den „Digital Market Act“ und den „Digital Services Act“ verabschiedet, um die Macht von digitalen Großkonzernen einzuschränken und es beispielsweise möglich zu machen, vorinstallierte Software und Updates zu entfernen. Dann können die Konsument:innen die Software-Module und Apps aussuchen, die sie wirklich brauchen und so Energie sparen, oder alte Handys weitergeben, unterstrich Rößner.

Der erste Gast auf dem freien Stuhl war, wie schon bei der FishBowl zur künstlichen Intelligenz, Alexander Kiock vom Bundesverband Digitale Wirtschaft. Er meinte, die Diskussion sei von den digitalen Themen abgerutscht zum Verbraucherschutz, der seiner Ansicht nach Innovation eher verhindere. Digitale Angebote gingen etwa in den skandinavischen Ländern schon viel weiter. In Deutschland bremse zu viel Regulierung und Datenschutz viele wirtschaftliche und kundenfreundliche Einsatzmöglichkeiten, beispielsweise für Künstliche Intelligenz aus.

Alexander Kiock, Bundesverband Digitale Wirtschaft | Foto: Tobias Koch

Während Rößner und Ullrich den Datenschutz als notwendig und technologisch umsetzbar verteidigten, wies Al-Halak auf einen Nachteil durch fehlende Datenanalysen aus seinem Fachgebiet hin: Ein Abwassermonitoring in der Corona-Pandemie hätte viel mehr und exaktere Daten über die Verbreitung des Virus und gezieltere Maßnahmen bieten können.

Als zweiter Gast auf dem freien Stuhl schlug Matthias Morrkopf, beruflich in der Sonnenenergie engagiert, vor, dass in jeder Branche auf das Top-Runner-Prinzip gesetzt und der Fortschritt der Besten zum Standard gemacht werden könne. Als dritter Gast stellte der zugeschaltete Siegbert Schlor als Vorsitzender des Netzwerks von Internet-Initiativen für Senior:innen in Baden-Württemberg heraus, welche große Bedeutung für Ältere die digitale Schulung für die Teilhabe und Inklusion am gesellschaftlichen Leben habe. Man dürfe allerdings die „Nonliner“ nicht außer Acht lassen und müsse lange genug die Möglichkeit bieten, das Leben auch analog bewältigen zu können.

Und so wurde an diesem Sommerabend im BASECAMP wieder deutlich, wie wichtig eine lebendige und vielseitige Debatte ist, wenn es darum geht, in der Verbraucherpolitik im Dialog mit Unternehmen die digitale Welt nachhaltiger zu gestalten und die Verbraucher:innen in ihren Entscheidungsmöglichkeiten bestmöglich zu unterstützen.

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