Die Gauck’sche Sicht der netzpolitischen Dinge

Veröffentlicht am 11.10.2013

Die netzpolitische Enttäuschung über das Ergebnis der Bundestagswahl war groß und umfassend. Zu viele Themen der Netzpolitik sind zwischen Wahlkampf und Sondierungsgesprächen verloren gegangen. Vor diesem Hintergrund fand die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2013 in der Berichterstattung einige Beachtung und Aufmerksamkeit, denn Gauck widmete der Netzpolitik einen Teil seiner Redezeit. Dabei blieb er inhaltlich zwar an der Oberfläche, sprach dabei jedoch Fragen an, die für die Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind. Die netzpolitischen Prioritäten, die der Bundespräsident in seiner Rede setzte, sind vor allem am Gemeinwohl der Menschen und der Demokratie orientiert. Wie ein Blick in die Wahlprogramme zeigt, haben auch die Parteien diese Themen frühzeitig erkannt.

Innovation und Demokratie

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Quelle: Pressefoto BPA

Die „digitale Revolution“ verändere die gesamte Lebens- und Arbeitswelt sowie das Verhältnis von Bürger und Staat, betonte Gauck einleitend. Digitale Technologien betrachtet er als „Plattformen für gemeinschaftliches Handeln, Treiber von Innovation und Wohlstand, von Demokratie und Freiheit“. Das sahen auch die Parteien in ihren Wahlprogrammen ähnlich. Die SPD betonte den Faktor Innovation beim Breitbandzugang und bei der Wettbewerbsfähigkeit der Regionen sowie hinsichtlich neuer Möglichkeiten der Partizipation, auch vor dem Hintergrund einer gestärkten Demokratie. Laut Wahlprogramm sah die CDU die netzpolitische Innovationskraft vor allem bei Start-ups der Internetbranche. Währenddessen brachten die Grünen in ihrem Programm das Stichwort Innovationen besonders mit dem Thema Urheberrecht in Zusammenhang.

Nun mögen manche argumentieren, dies sei eine Generationenfrage und den meisten Politikern würde das Verständnis für die neuen Technologien fehlen. Doch die Parteien schwärmen in ihren Programmen flächendeckend von innovativen Entwicklungen und neuen Technologien, seien es Open-Data-Konzepte, Cloud Computing oder Big Data.

Datenschutz bleibt ein Dauer-Thema

Durch die Berichte über die Datensammlungen der Geheimdienste sei vielen „die Gefahr für die Privatsphäre bewusst“ geworden, fasste der Bundespräsident die diffusen Sorgen der Bundesbürger zusammen. Doch er mahnte auch zur persönlichen Verantwortung, denn viele Internetnutzer vertrauten dem Netz zu viele persönliche Informationen an und veröffentlichten „gedankenlos“ private und sensible Details, kritisierte er. Man dürfe als Einzelperson nicht „transparent, kalkulierbar und manipulierbar“ für Politik, Kommerz und Arbeitsmarkt werden, betonte Gauck. Als Vision stellte er sich vor, dass der Datenschutz für den Erhalt der Privatsphäre so wichtig werden solle wie der Umweltschutz für den Erhalt der Lebensgrundlagen.

Selbstverständlich haben auch die Parteien Vorschläge zum Datenschutz in ihren Wahlprogrammen: Die CDU schlägt vor, verbraucherfreundlich gewählte Voreinstellungen zur Privatsphäre, insbesondere in sozialen Netzwerken, zu etablieren. Dazu gehöre auch der Grundsatz der ausdrücklichen Einwilligung für die Nutzung privater Daten sowie ein Recht auf Löschen der eigenen Daten. Man müsse als Verbraucher souverän über die persönlichen Daten bestimmen dürfen, so auch die SPD in ihrem Programm. Nach Vorstellung der Grünen sollten zudem die Anbieter stärker in die Verantwortung genommen werden, wenn es um den Schutz von Persönlichkeitsrechten geht.

Die Parteien als Schutzpatrone

Der Bundespräsident warb um Verständnis für den politischen Prozess, als er erklärte, dass Gesetze und Konventionen einer neuen technischen Entwicklung immer hinterherhinkten. Gleichzeitig appellierte er an die Eigenverantwortung des Einzelnen und forderte, den Innovationen „als aufgeklärte und ermächtigte Bürger“ zu begegnen und entsprechend zu handeln. Gauck sagte auch, die Vorteile der digitalen Welt müssten genutzt werden, während der bestmögliche Schutz gegen ihre Nachteile gefunden und gesichert werden sollte.

Das grundsätzliche Schutzbedürfnis der Menschen zu bedienen, dazu fühlen sich auch die Parteien berufen: Vom Schutz des geistigen Eigentums über den Schutz der Persönlichkeitsrechte und der eigenen Daten bis hin zum Schutz anonymer Kommunikation werden in den Wahlprogrammen alle Themenfelder durch die Parteien abgedeckt. Der Staat als Schutzpatron der Bürger ist also überparteilicher Konsens – nur die Frage, wie dieser Schutz auszugestalten ist und ob die Bürger soviel Schutz überhaupt wollen, bleibt diskussionswürdig.

Die neue Bundesregierung muss viele Fragen beantworten

Zudem stellte Gauck in seiner Rede eine Reihe von weiteren netzpolitischen Fragen in den Raum, die die neue Bundesregierung auf ihre Agenda nehmen sollte. Darunter fallen Überlegungen zu Kompetenzen der Nachrichtendienste hinsichtlich der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, ebenso wie Fragestellungen zum Arbeitsmarkt, zu Familiensituationen und Freundschaftsbeziehungen sowie hinsichtlich der Medienkompetenz und des Schutzes von Kindern und Jugendlichen im Netz.

Das Thema abschließend forderte das Staatsoberhaupt „Gesetze, Konventionen und gesellschaftliche Verabredungen, die diesem epochalen Wandel Rechnung tragen“. Vor dem Hintergrund der Demokratie müsse die Politik reagieren, sobald ein Problem ansatzweise erkennbar sei, und nachbessern, sobald mehr Klarheit bestünde. Diese mahnenden Worte vonseiten des Bundespräsidenten werden bei den zukünftigen Koalitionspartnern hoffentlich noch länger nachhallen.

Auszug aus der Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck:

„Es schwindet jene Privatsphäre, die unsere Vorfahren sich einst gegen den Staat erkämpften und die wir in totalitären Systemen gegen Gleichschaltung und Gesinnungsschnüffelei zu verteidigen suchten. Öffentlichkeit erscheint nicht mehr als Bedrohung, sondern als Verheißung, die Wahrnehmung und Anerkennung verspricht.

(…)

Es gilt also, Lösungen zu suchen, politische und gesellschaftliche, ethische und praktische: Was darf, was muss ein freiheitlicher Staat im Geheimen tun, um seine Bürger durch Nachrichtendienste zu schützen? Was aber darf er nicht tun, weil sonst die Freiheit der Sicherheit geopfert wird? Wie muss der Arbeitsmarkt aussehen, damit der allzeit verfügbare Mensch nicht zum digitalen Untertanen wird? Wie existieren Familie und Freundschaften neben virtuellen Beziehungen? Wie können Kinder und Jugendliche das Netz nutzen, ohne darin gefangen zu werden?“

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital. Aylin Ünal ist als Redakteurin des wöchentlich erscheinenden Monitoring-Services für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.

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