young+restless: Smart Mobility, „Was fehlt, ist der Mut“.

Veröffentlicht am 08.06.2018

Foto: Henrik Andree<sup\>
Über die Hälfte der deutschen Bevölkerung interessiert sich nicht für das Thema Neue Mobilität. So das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey. Dabei bestimmt Mobilität unseren Alltag und unsere Lebensqualität maßgeblich: Fahrradfreundliche Straßen, abgasfreie Zonen und nicht zuletzt gesunde Luft zum Atmen – sind diese Themen wirklich nicht von Interesse?

Weshalb Car Sharing im ländlichen Raum wichtig und zugleich schwierig zu etablieren ist und warum wir endlich ein Foto von Verkehrsminister Andreas Scheuer auf dem Fahrrad brauchen – darüber haben die Gäste der Netzwerkveranstaltung young + restless am 6. Juni im Telefónica BASECAMP diskutiert.

Städte für Menschen, nicht für Autos

Laut Marion Tiemann, Greenpeace-Verkehrsexpertin, dreht sich beim Thema Mobilität alles um die Frage: Wie wollen wir leben und wie schützen wir uns – zum Beispiel vor vergifteter Luft? „Im Kern geht es darum, Städte zu Orten für Menschen zu machen, nicht für Autos.“ Ihr Wunsch für die Zukunft: die Anzahl der Autos um mindestens die Hälfte reduzieren.
Möglichkeiten dafür bieten Sharing- und Shuttle-Services, wie sie die bei young + restless anwesenden Start-ups Drivy und CleverShuttle anbieten. Ersterer ist Anbieter einer privaten Vermietung von Autos, also Carsharing mit Privatautos. Mats Joosten, PR und Community Manager von Drivy, berichtet von einer wachsenden Nachfrage: „Das Thema wird größer, Carsharing erhält immer mehr Zuspruch.“ Das Potenzial hat auch die Industrie entdeckt: Autohersteller kontaktierten Drivy und seien zunehmend an Carsharing-Modellen interessiert. Dennoch seien diese in Deutschland schwieriger zu etablieren als in anderen Ländern. In Frankreich beispielsweise spiele das Auto als persönlicher Gegenstand nicht so eine große Rolle. „In Deutschland ist hingegen immer die erste Frage: Wie ist das versichert?“, berichtet Joosten. Die Besitzer seien besorgter um ihre Fahrzeuge, jeder Kratzer werde sofort bemerkt und dem Kundenservice gemeldet.

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Marion Tiemann, Greenpeace-Verkehrsexpertin; Foto: Henrik Andree

Mehr Teilen, weniger Autos?

Das zweite Start-up an diesem Abend ist CleverShuttle – ein Taxi-Service, bei dem mehrere Fahrgäste mit ähnlichen Strecken gemeinsam mitgenommen werden. Fahrzeuge sollen so optimal ausgelastet werden. Public Relations Manager Fabio Adlassnigg ist an diesem Abend selbst mit CleverShuttle ins Telefónica BASECAMP gekommen – und hat sich das Auto mit drei weiteren Fahrgästen geteilt. „Dadurch haben wir es geschafft, drei Autos von der Straße zu nehmen, in denen sonst nur eine Person gefahren wäre.“
Heinrich Strößenreuther, Geschäftsführer der Agentur für clevere Städte, warnt angesichts derartiger Angebote vor einem Rebound-Effekt. Autofahren werde billiger, verfügbarer, bequemer und dementsprechend attraktiver. Die Gefahr: Menschen, die sonst vielleicht umweltfreundlichere Alternativen nutzen würden, nähmen dadurch häufiger das Auto. Mit vermehrtem CO2-Ausstoß. Dieses Risiko erkennt auch Kerstin Stark, Projektleiterin beim Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum: „Die Frage ist, wie Fabio Adlassnigg sonst hergekommen wäre? Ob mit dem Fahrrad oder den Öffentlichen. Angebote wie CleverShuttle dürfen nicht dazu führen, dass plötzlich ein Auto genutzt wird, wo sonst keins benutzt worden wäre.“

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Heinrich Strößenreuther; Foto: Henrik Andree

Problemkind ländlicher Raum

Stark weiß aber auch: Derartige Angebote bieten sich hervorragend an, um die Mobilität im ländlichen Raum zu verbessern. Dass das jedoch nicht so einfach ist, merkt Gunnar Nehrke, Geschäftsführer des Bundesverbands Carsharing e.V. an: „Wenn wir im ländlichen Raum Sharing-Angebote etablieren, dann wird das richtig Geld kosten. Carsharing und Ridesharing können sich im ländlichen Raum nicht tragen.“ Joosten stimmt dem zu: „Selbst in der Stadt ist Carsharing zum Teil immernoch nicht profitabel.“ Die öffentliche Hand müsse daher in diesem Fall investieren, meint Nehrke weiter.
Gerade das Engagement der Politik lasse jedoch zu wünschen übrig – da sind sich die Diskutanten einig. Nehrke bemängelt: „Alles, was mit Sharing Mobility zu tun hat, kommt im Verkehrsministerium nicht an. Wenn aber jemand sagt ‚Hallo, ich bin von Daimler‘, dann hört man zu.“ Das Interesse der Politik an New Mobility sei insgesamt noch nicht groß. Viele Dinge diesbezüglich stünden zwar auf der Agenda, Nehrke glaubt aber nicht, dass sie deswegen unbedingt in nächster Zeit angegangen werden.

Mangelt es in der Politik an Engagement?

Dass Smart Mobility nicht oben auf der Agenda angekommen ist, berichtet auch Tiemann. Zum Weltfahrradtag habe sie Verkehrsminister Scheuer um ein Foto von ihm auf einem Fahrrad gebeten – als Beweis für sein Interesse am Fahrradfahren. Bisher habe sie Fotos von ihm vor stehenden Rädern und mit zwei Fahrradpumpen in der Hand erhalten. „Auf das Beweisfoto warte ich aber immer noch.“
Allgemein meint Tiemann: „Was fehlt, ist Mut. Mut für die Verkehrswende. Auf Bundes- und auf kommunaler Ebene.“ Laut Strößenreuther sollte das eigentlich kein Problem sein, beweise doch die Bevölkerung bereits den nötigen Mut. Das zeigten beispielswiese Initiativen für den Radverkehr, die in immer mehr deutschen Städten stattfinden. „Es geht dabei immer um die Frage: Wie wollen wir in der Stadt leben? Und die Antwort lautet immer: Mit weniger Autos“, beobachtet Strößenreuther und schlussfolgert: „Die Bevölkerung steht längst dahinter, man muss es nur noch machen.“

Dieser Text wurde von meko factory – Werkstatt für Medienkompetenz zur Verfügung gestellt

Geschrieben von Luise Schneider

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