Weniger Bürokratie?: Mehr Mut zu Experimenten und mehr Toleranz für Fehler

Fotos: Screenshot Livestream
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Veröffentlicht am 28.10.2021

Beim Frühtermin im BASECAMP on Air von Telefónica, „Nachgefragt! Auf ein Wort mit … Professor Dr. Justus Haucap“, in der Mitte der Themenwoche „Deutschland 2025: Wie digital wird unsere Gesellschaft?“ stand eine wichtige Frage für Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft auf dem Tapet „Wie kann Deregulierung gelingen?“ In Deutschland, in der Europäischen Union, überall nimmt das Ausmaß der Regulierung zu. Ist diese Entwicklung noch zu bremsen? Ein großes Thema für eine knappe halbe Stunde am Mittwochmorgen.

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„Ist das denn ein Naturgesetz, dass es immer neue Regulierungen gibt?“, fragte Harald Geywitz, Repräsentant von Telefónica in Berlin, bei diesem Online- Gespräch einen renommierten Spezialisten: den Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE), Professor Dr. Justus Haucap von der Uni Düsseldorf. Lachend antwortete das Mitglied des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Regulierungsfragen (WAR) bei der Bundesnetzagentur:

„Über Naturgesetze denke ich als Sozialwissenschaftler und Ökonom nicht nach, das überlasse ich den Naturwissenschaftlern.“

Aber Haucap, der auch jahrelang Vorsitzender der Monopolkommission war, bestätigte den Eindruck, dass Regulierung tendenziell überall zunehme, nicht nur in Deutschland. Der „Think Tank“ bereite dazu ein Positionspapier vor, das demnächst erscheinen werde.

Zwei wichtige Gründe sieht Haucap für immer mehr Regulierung: Zum einen ist es aus politischer Sicht eine schnelle und günstige Art, aufgetauchte Probleme zu behandeln. Und zwar mit dem eindeutigen Vorteil, dass es die Staats- oder Landeskasse meist nichts kostet. Ein Beispiel dafür sei der Mindestlohn. Regulierung müsse aber nicht immer für die Wirtschaft von Nachteil sein. Es habe auch marktöffnende Regelungen gegeben, die für Wirtschaft und Verbraucher positive Effekte hatten.

Zum zweiten gebe es Regulierungen wie etwa bei Hafenlotsen oder Taxis, die von der Branche gerne erhalten werden, auch wenn sich die einstige Basis dafür geändert habe. So blieben Regulierungen oft über den Regelungsbedarf hinaus erhalten, weil man sich daran gewöhnt hat und es meist weniger Druck gibt, Regulierungen außer Kraft zu setzen, als vorher, um sie einzuführen. Von Verwaltungen zu erwarten, dass sie ihre eigenen Regulierungen abschafften, sich also quasi überflüssig machten, sei verständlicherweise wenig Erfolg versprechend, fügte Haucap an.

Grafik: Screenshot Livestream

„Gibt es noch andere Profiteure als Taxis oder Lotsen?“, fragte Geywitz den Wirtschaftswissenschaftler. Haucap nannte als Beispiele die Deutsche Post oder die Bahn, fügte allerdings hinzu, dass große Unternehmen generell besser mit Regulierungen zurechtkämen als kleine und mittlere Betriebe. Ein „Kollateralschaden“ von Regulierung sei häufig eine Marktkonzentration, denn die Großen könnten die daraus folgenden „Fixkosten besser wegstecken“ als die Kleinen. Das sei auch bei der deutschen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der Fall, mit der eigentlich vor allem die großen Tech-Plattformen reguliert werden sollten. Wenn er dann sogar höre, dass Mark Zuckerberg, Gründer von Facebook, sich ein DSGVO für die USA wünsche, „dann bekomme ich ein Störgefühl“.

Mehr als dreiviertel der Regulierungen, die in Deutschland greifen, stammen aus der Gesetzgebung der EU, erläuterte Haucap, denn dort gebe es einen großen Drang zur Harmonisierung in der Union. Was für einige Länder sehr gut sein könne, passe für andere im Club der 27 möglicherweise gar nicht. Deshalb verweisen Wirtschaftler:innen gerne auf das Subsidiaritätsprinzip, nach dem auf unteren Ebenen geregelt werden solle, was dort sinnvoll möglich ist.

Das wesentliche Problem bei der Regulierung, so Haucap, sei oft nicht der Fakt selbst, sondern die Ausführung, die dann alle Prozesse verlangsame wie etwa beim Baurecht. Beschäftigte in der Verwaltung seien oft eher geneigt, alle Vorschriften penibel umzusetzen, als risikoreiche Entscheidungen zu treffen, was man ihnen eigentlich nicht zum Vorwurf machen könne. Die wesentliche Evaluierung müsste daher den Ausführungsbestimmungen gelten. Dafür solle, sagte Haucap, wie vom Nationalen Normenkontrollrat vorgeschlagen ein kleines Gremium zur Deregulierung geschaffen werden.

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„Ist es nicht paradox, ein neues Gremium zu schaffen, um Regeln abzuschaffen?“, fragte Geywitz leicht irritiert. Könnten das nicht bestehende Institutionen wie der Normenkontrollrat mit erledigen? Möglicherweise, räumte Haucap ein, vor allem aber sollte aus Best-Practice-Beispielen wie dem Bausektor in den Niederlanden gelernt werden, wie man schneller werden könne. Das sei nicht unbedingt eine Frage der Digitalisierung.

Wenn es mal schnell gehe trotz aller Vorschriften, wie bei der „Gigafactory“ von Tesla in Brandenburg, dann gebe es aber eine Menge Kritik, zog Geywitz ein aktuelles Beispiel heran. Alles gleichzeitig, bürokratische Genauigkeit, immer mehr Dokumentationspflichten und Haftungsrisiken, und dabei Experimentieren für schnellere Genehmigungsprozesse, gehe nun mal nicht, meinte Haucap, und sagte salopp: „Einen Tod muss man sterben.“

Wenn er sich von der neuen Regierung etwas wünschen dürfe, dann seien das eine permanente Deregulierungskommission, mehr Raum für Experimente in den Verwaltungen, mehr Freiheit für Entscheidungen in Ländern und Kommunen, und mehr Toleranz bei Fehlern. Mutiges Ausprobieren sei auch für den Erfolg der Energiewende immens wichtig.

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