Netzneutralität stößt auf ITRs

Regierungen, Unternehmen und Internet Governance
Veröffentlicht am 06.12.2012

ITRs ist eine kleine Abkürzung, die bei der Weltkonferenz zur internationalen Telekommunikation große Aufregung verursacht. Wird das Internet wegen den ITRs nie wieder dasselbe sein?

Ab dieser Woche wird das Internet nie wieder dasselbe sein. Die Regeln des Spiels werden sich in Dubai ändern, so jedenfalls geht das Gerücht. Dieser Artikel befasst sich mit einer kleinen Abkürzung, die bei der Weltkonferenz zur internationalen Telekommunikation große Aufregung verursacht: die ITRs.

International Telecommunication Regulations (ITRs)

Bei der Konferenz geht es um die Modernisierung der International Telecommunication Regulations. Organisator ist die Internationale Fernmeldeunion (ITU), eine UNO-Agentur. Die ITU-Mitgliedsstaaten einigten sich zuletzt 1988 auf diese Richtlinien für internationale Telekommunikation. Seit 24 Jahren dienen sie als allgemeine Grundsätze zur „Erleichterung globaler Zusammenschaltungen und der Interoperabilität der Telekommunikations-Einrichtungen“.

Im Sinn hatte man damals „die Förderung der harmonischen Entwicklung und des effizienten Betriebs der technischen Anlagen sowie die Effizienz, Nützlichkeit und öffentliche Verfügbarkeit internationaler Telekommunikationsdienste.“ Konkret bedeutet dies unter anderem die Schaffung von Standards: Die ITU ermöglicht es zum Beispiel Telefonherstellern, dass sich die Geräte eines Landes mit Geräten eines anderen Landes kurzschließen können.

Seitdem hat sich die Telekommunikationsinfrastruktur schnell entwickelt. Das Internet wurde zu einer allwissenden Kommunikations-, Kreativitäts- und Austausch-Plattform; mobile Telefonie weitete sich extrem aus – bis in die entlegensten Gebiete –, und neue Informations-und Kommunikationstechnologien entstanden.

Netzneutralität durch ITRs in Gefahr?

Um mit den vielen Veränderungen des Internets mitzuhalten, will die UNO-Agentur ihre ITRs so ausdehnen, dass sie auch die Regulierung des Internets umfassen. Was dies konkret bedeuten könnte, bleibt noch abzuwarten, aber einige Regierungen haben bereits Zeichen gesetzt. Länder wie Russland sprechen sich für die nationale Regelung von Aspekten des Internets aus, unter anderem beim Entgelt für Internet-Verkehr und einer gewissen Kontrolle der Inhalte. Andere Staaten wie Kamerun haben konkrete Vorschläge zur Einführung neuer Gebühren gemacht. Diese letzte Idee wird von Netzbetreibern wie der Deutschen Telekom und dem Europäischen Netzbetreiberverband ETNO unterstützt, aber abgelehnt von zivilgesellschaftlichen Gruppen wie La Quadrature du Net.

Würden diese Empfehlungen Eingang in die ITRs finden, so argumentieren die EU, Mexiko, die USA und einige andere, dann wäre die Netzneutralität in Gefahr. Die Agentur bewegt sich daher auf einem schmalen Grat: Auf der einen Seite muss sie juristisch mit der Infrastrukturentwicklung mithalten, auf der anderen muss sie der Versuchung widerstehen, manche Internet-Dienste und Inhalte in Zukunft zu kontrollieren – so wie es einige Mitgliedstaaten vorschlagen. „Netzneutralität ist in Gefahr, aber die Bedrohung geht weniger von internationalen Verträgen aus als von nationalen Regelungen – oder einem Mangel daran“, sagt Internet-Governance-Forscherin Dr. Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum Berlin.

„Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die ITRs von 1988 eine wesentliche Erweiterung erfahren werden“, schätzt Hofmann. „Internationale Verträge sind abhängig von Einigkeit unter den Mitgliedsstaaten. Zur Ausweitung der ITRs auf das Internet gibt es allerdings keinen Konsens.“

Internet Governance wie immer?

Die Zuweisung von Autorität über Kernfunktionen der Internet-Infrastruktur liegt aktuell bei der ICANN. Diese Organisation steht unter der Gerichtsbarkeit der USA. Gewährleistet diese Form der Internet Governance beste Entwicklungschancen für die Infrastruktur und Netzneutralität? In einem aktuellen Blog-Beitrag im Internet Governance Project hat Prof. Milton Mueller von der US-amerikanischen Syracuse Universität eine klare Antwort: „Der Status Quo ist nicht gerade rosig. In den vergangenen zwei Wochen haben der ICANN-Vorstand und der -Chef so schlechte Entscheidungen getroffen, dass die Legitimität der Institution fraglich ist.“ Er berichtet darin zum Beispiel vom Veto mancher Teilnehmer des Vorstands zu neue top-level Domain Namen.

Ein zwischenstaatliches Modell wie das der ITU ist für viele Beteiligte jedoch nicht akzeptabel, da es die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft weitgehend ausschließt. Es fehle Transparenz, heißt es. Dies öffne die Tür für Missbrauch und die Vertretung von Sonderinteressen.

Trotz der Kontroverse um die bevorstehende Konferenz und im Gegensatz zu früheren ITU-Foren, hat die Agentur dieses Mal einen Multi-Stakeholder-Ansatz zur WCIT unterstützt und gefördert. Wird dies ausreichen, um das Internet als ein offenes, neutrales und bezahlbares Netz zu verteidigen? Ende dieser Woche werden wir es wissen.

Autor: Frédéric Dubois

Die E-Plus Gruppe unterstützt das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft beim Aufbau einer Plattform zu Fragen der Internet-Regulierung. Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen dieser Kooperation auf UdL Digital.

Schlagworte

Empfehlung der Redaktion