Ahndung von Urheberrechtsverletzungen: Eignet sich Schweden als Vorbild?

Veröffentlicht am 06.05.2013

Wenn es um fortschrittlichen Einsatz von Informationstechnologien geht, schaut man in der EU gerne Richtung Schweden. Und in der Tat: Im aktuellen Ranking der World Wide Web Foundation nimmt Schweden den 1. Platz ein, ausgezeichnet als das Land, in dem das Internet den größten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Einfluss hat. Was also macht die netzpolitische Situation in Schweden aus? Wie greifen soziale Normen und politische Regulierung ineinander, zum Beispiel beim Thema Urheberrecht?

Zugang als Grundpfeiler lebhafter Internet-Kultur

Ein Grundpfeiler der regen schwedischen Internet-Kultur und auch der breiten Debatte über das Internet ist der ausgebaute Zugang zum Internet. Mit politischen Maßnahmen sorgte man in Schweden dafür, dass eine leistungsfähige Infrastruktur entstehen konnte und schuf einen unterstützenden rechtlichen Rahmen. Gemeinden bekamen zum Beispiel Zuschüsse, damit sie ihre IKT-Infrastruktur besonders schnell ausbauen konnten – mit gutem Erfolg: 2012 hatten fast 90 Prozent der Bevölkerung Breitband-Zugang zum Internet. Gut zehn Prozent aller Schweden sind per Glasfasernetz angebunden. Und die Anzahl der Nutzer des mobilen Internets verdoppelte sich von 2011 auf 2012 nahezu von 30 auf 55 Prozent. Die schwedischen Regulierer konnten den Wettbewerb unter Internet Service Providern (ISPs) so weit steigern, dass die mittleren Preise für Breitbandzugang zum Internet 2011 weit unter dem europäischen Durchschnitt lagen.

Urheberrecht in Schweden: Von Piraten und Pionieren

Autoren: Merlin Münch / Internet Policy Review RedaktionIn anderen Feldern der Netzpolitik sieht die Situation in Schweden überraschend widersprüchlich aus, zum Beispiel beim Thema Urheberrecht. Schweden ist die Geburtsstätte der umstrittenen Filesharing-Plattform The Pirate Bay, und auch die Piratenpartei wurde hier gegründet. Zwar verstieß Filesharing auch in Schweden immer gegen das Gesetz. Doch Bürger, die das Gesetz brachen, hatten wenig zu befürchten. Den Ermittlern fehlten lange die Befugnisse, mutmaßliche Filesharer zu identifizieren. “Dass es keine funktionierenden rechtlichen Mittel, Überwachung und Sanktionen gab, trug zu einer großen Akzeptanz dieser Art von Kriminalität bei. Die Leute haben die Gesetze einfach nicht ernstgenommen”, analysieren Larsson und Svensson. Insofern haben soziale Normen die Gesetzesübertretungen lange befördert; und die Abwesenheit von Monitoring illegalen Filesharings bedeutete, dass es lange Zeit besonders unter jungen Schweden gebräuchlich war, urheberrechtlich geschütztes Material zu teilen.

EU-Richtlinie strikt ausgelegt

2009 wendete sich das Blatt: Das schwedische Parlament implementierte die EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (IPRED). Besonders kontrovers diskutiert wurde, dass die Gesetzesänderung ISPs dazu zwingt, die Identität Beschuldigter an Ermittlungsbehörden herauszugeben. Nutzer protestierten lautstark, und ISPs wehrten sich vor dem schwedischen Verfassungsgericht, das das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorlegte. Dieser bestätigte Ende 2012, dass EU-Staaten die EU-Richtlinie in Gesetze übersetzen dürfen, bei denen ISPs zur Herausgabe der Daten von Kunden aufgefordert werden dürfen, wenn deren IP-Adressen mutmaßlich dafür benutzt wurden, Urheberrechtsverletzungen zu begehen. Das schwedische Verfassungsgericht unterstrich in der Folge die Rechtmäßigkeit des beschlossenen Gesetzes. Die Entrüstung in Teilen der Bevölkerung verhalf der Piratenpartei bei der nächsten Wahl zu zwei Sitzen im Europäischen Parlament.

Kulturindustrie brachte innovative Alternativen hervor

Nachdem die IPRED-Richtlinie in Schweden implementiert worden war, sanken die Filesharing-Raten zunächst. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Anonymisierungsdiensten stark an. Daraufhin argumentierten manche, dass man sich mehr bemühen müsse, die sozialen Normen zu verändern, die das Filesharing rechtfertigten, anstatt schärfere Gesetze einzuführen. Ungeachtet dessen begünstigten die Maßnahmen auf Basis von IPRED wahrscheinlich die Entwicklung legaler Alternativen. Angebote wie der Musik-Streaming-Dienst Spotify oder der Video-on-demand-Dienst Voddler entstanden in Schweden. 2011 hörten zwei von drei Schweden online Musik – genau in dem Jahr, in dem Spotify offiziell startete. Die schwedische Musikindustrie erlebte 2012 ihr profitabelstes Jahr seit 2005. 63 Prozent aller Gewinne strichen die Firmen aus Online-Angeboten ein, 90 Prozent davon entfielen auf Streaming-Dienste.

Eine direkte Ursache-Wirkung-Beziehung lässt sich zwischen der Umsetzung von IPRED und dem Entstehen – und Erfolg – legaler Alternativen kaum herstellen. Doch es erscheint möglich, dass ein Bewusstsein für die Wahrscheinlichkeit, bei Urheberrechtsbrüchen gefasst zu werden, den Alternativen einen deutlichen Schub gegeben hat, sodass sich womöglich auch ein normativer Wandel zugunsten dieser Alternativen einstellt.

Schwedische Regulierung kopieren?

Für den Bereich des Urheberrechts klaffen Schwedens liberales Image und die tatsächliche Situation insofern auseinander. Schweden hat die EU-Richtlinie IPRED trotz scharfer Kritik nicht gerade lax, sondern strikt ausgestaltet, ja geradezu übererfüllt. Gleichzeitig erlebte das Land Innovation in genau diesem Bereich. Soziale und gesetzliche Normen haben in diesem Fall offenbar wirtschaftlich günstig ineinandergegriffen. Kann die schwedische Regulierung also als Blaupause für andere EU-Staaten dienen? Wohl eher nicht – jedenfalls nicht, ohne den Kontext zu berücksichtigen. Im Falle des “Geistiges Eigentum” waren die Weichen in Schweden in besonderer Weise gestellt: Die gute infrastrukturelle Versorgung und die Tatsache, dass Internet-Themen in der öffentlichen Debatte eine große Rolle spielen, haben offensichlich Nutzungsgewohnheiten begünstigt, an die kommerzielle Anbieter mit ihren innovativen Streaming-Angeboten anschließen konnten, als die Regulierer durchgriffen. Von einer derartigen Situation können diverse EU-Staaten derzeit nicht ausgehen.

In einer ausführlicheren Version dieses Artikels schlüsselt Merlin Münch die netzpolitische Situation Schwedens weiter auf und blickt auf Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung und Transparenz.

Die E-Plus Gruppe unterstützt das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft beim Aufbau einer Plattform zu Fragen der Internet-Regulierung. Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen dieser Kooperation auf UdL Digital.

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