Länder Kitchen Talk: Digitalisierung – vom Teenager zum Erwachsenwerden

Stefan Muhle, Valentina Kerst, Renée Röske und Harald Geywitz | Foto: Henrik Andree
Stefan Muhle, Valentina Kerst, Renée Röske und Harald Geywitz | Foto: Henrik Andree
Veröffentlicht am 25.03.2022

Digitalisierung ist ein Dauerthema in unserer Gesellschaft. Ob es ein eigenes Digitalministerium geben solle, war eine Diskussion im Bundestagswahlkampf. Die Ampelkoalition hat sich dagegen entschieden. Doch wo haben die Bürgerinnen und Bürger mit digitaler Verwaltung und Lebenswelt zu tun? In den Kommunen beim Einwohneramt oder in den Schulen beim Teleunterricht. Orte also, die in unserer föderalen Struktur stark durch die Länder bestimmt werden. Sind sie die „Hidden Champions“ bei der Digitalisierung? Das war die Frage beim „Kitchen Talk“ im BASECAMP.

Noch mehr als die einzelnen Bürger:innen sind Unternehmen im Kontakt mit der mehr oder weniger digital funktionierenden Verwaltung. Daran erinnerte Telefónica Deutschland-Vorstandsvorsitzender Markus Haas in seiner Begrüßung, darauf wiesen in der Diskussion auch Moderator Harald Geywitz, Berlin Repräsentant von Telefónica, und Renée Röske, Referentin für Politische Kommunikation bei Evonik Industries AG, hin.

„Wie zufrieden sind Sie mit dem Fortschritt bei der Digitalisierung?“ eröffnete Geywitz die Diskussion am „Küchentisch“ mit einer Frage an Valentina Kerst, 2018 bis 2021 Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, und jetzt bei Kienbaum Consultants International tätig.

Valentina Kerst, Senior Managerin Public, Kienbaum Consultants International | Foto: Henrik Andree

„Wir sind im positiven Teenageralter, aus der Kindheit, in der man alles erklären muss, sind wir heraus“,

meinte sie lächelnd und um der Diskussion einen optimistischen Anfang zu geben. Allerdings werde die Digitalisierung oft nur „als schönes Aushängeschild benutzt“. Es gebe zu wenig Absprache auf den verschiedenen Ebenen, auch auf der Länderebene unter den Fachministerien. Das komme ihr manchmal vor wie „ein 100-Meter-Lauf der Orientierungslosen“. Ob die Verwaltung, wie vorgesehen, zum Jahresende mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) wirklich zu Rande komme, sei die Kernfrage.

„Digitalisierung geht aber nicht mit dem Kopf durch die Wand.“

Stefan Muhle, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung | Foto: Henrik Andree

Bei der digitalen Infrastruktur sei man auf Länderebene gut vorangekommen, meinte Stefan Muhle, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung. Schwachstellen seien Verwaltung und Schule. Erst Corona und jetzt der Krieg in der Ukraine lenkten die Aufmerksamkeit weg von der Digitalisierung, wobei gerade die Pandemie gezeigt habe, dass „wir im Gesundheitssystem schon weiter sein könnten“. Dass der Bund die Länder als Sorgenkinder bei der Digitalisierung betrachte, wies Muhle als „sehr hochnäsig“ zurück, wenn es denn diese Einstellung gäbe, wie er einschränkte. Gerade die Bundesländer warteten ebenso wie die Kommunen seit Jahren darauf, dass der Bund endlich einheitliche Rahmenbedingungen und Standards schaffe, an denen sich Länder, Städte und Gemeinden orientieren könnten. Darauf hatten die Kommunen auch Anfang 2021 in ihren „Dresdner Forderungen“ hingewiesen.

Renée Röske, Referentin für Politische Kommunikation, Evonik Industries AG | Foto: Henrik Andree

Mehr Koordination zwischen den Ländern, wo es viele unterschiedliche Regelungen gebe, aber auch mehr Rücksicht auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen wünscht sich Röske, wenn digitale Anträge für ihre Firma Evonik nach dem OZG wirklich möglich werden. Allein in Nordrhein-Westfalen sei Evonik von rund 80 Gesetzen betroffen. Dabei sollte bei den digitalen Beziehungen zwischen Unternehmen und Verwaltung der Wirtschaftsschutz mehr mitgedacht werden, denn

„wir wollen nicht, dass unsere Anlagepläne öffentlich im Internet stehen“.

Mehr Koordination mahnte Muhle auch in der Schulpolitik an, denn in einem Bundesland seien Tools in der Schule erlaubt, die in anderen Bundesländern verboten seien. Schüler:innen nutzten die digitalen Möglichkeiten längst anders als von den Schulen vorgegeben, zum Beispiel mit Tutorials. „Die Schule hat ihr Informationsmonopol verloren.“ Auf die Fragen von Geywitz, ob es statt zu weniger Koordinierungsstellen vielleicht eher zu viele gebe, sprach Muhle die 16 Datenschutzämter in den Ländern und noch eines auf Bundesebene an und meinte, dass die Digitalisierung vielleicht sogar überfinanziert sei. Das habe zu parallelen Strukturen geführt, die dann zu verschiedenen Ergebnissen führten.

Stefan Muhle, Valentina Kerst, Renée Röske und Harald Geywitz | Foto: Henrik Andree

Für den Staatssekretär Muhle muss die Digitalisierung Chef:in-Sache sein, die gehöre ins Kanzleramt und in die Staatskanzleien der Länder. Das „zweitbeste Modell“ sei, wenn es in jedem Ministerium einen Verantwortlichen gebe, der im ganzen Zuständigkeitsbereich des Ressorts die Fäden in der Hand hält. Und die ehemalige Staatssekretärin Kerst forderte, dass es mehr Personalwechsel zwischen Verwaltung und Unternehmen geben müsse, was aber oft an der Gehaltsstruktur des öffentlichen Diensts scheitere. Das könnte, wenn es funktioniert, zu mehr gegenseitiger Akzeptanz führen.

2017/18 sei die Digitalisierung stark vorangetrieben worden, meinte Kerst, viele Forschungsprogramme, Initiativen und „Hubs“ seien entstanden, auch dies zum Teil parallel in den Regionen. Die müssten nun evaluiert werden und nicht einfach weiterlaufen. Für den Schritt ins Erwachsenenalter sei eine genaue Bilanz fällig:

„Wenn das alles so weiterdümpelt, entsteht vielleicht irgendwo was Tolles, aber die Schlagkraft in der Gesamtheit fehlt.“

Jetzt, zu Beginn der neuen Regierungsperiode, sei genau die richtige Zeit für den Bundesverkehrs- und Digitalminister, die ganzen Förderprogramme auf den Prüfstand zu stellen.

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