Klimaschutz: „Die Digitalisierung ist eine Effizienzmaschine ersten Ranges“

Foto: Henrik Andree
Veröffentlicht am 17.02.2020

Foto: Henrik Andree
Hilft uns die Digitalisierung oder ist sie Brandbeschleuniger im Klimawandel? Darüber diskutierte Telefónica-Chef Markus Haas mit Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter, Nachhaltigkeitsforscher Prof. Tilman Santarius und weiteren Gästen im BASECAMP. Für Haas sind „Daten, Vernetzung und Künstliche Intelligenz die Schlüsselfaktoren für die Bewältigung der Klimakrise.“

Der Kampf gegen den Klimawandel und die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sind die zwei Megathemen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Doch in welchem Verhältnis stehen Nachhaltigkeit und Digitalisierung zueinander? Kann uns die Digitalisierung helfen, Energie zu sparen, Ressourcen effizienter zu nutzen und weniger CO2 auszustoßen? Oder wirkt sie als Brandbeschleuniger im Klimawandel? Zur Debatte über diese Fragen lud Telefónica Deutschland am 13. Februar ins BASECAMP nach Berlin Mitte. Telefónica CEO Markus Haas diskutierte mit dem Nachhaltigkeitsforscher Prof. Tilman Santarius vom Einstein Center Digital Future der TU Berlin, der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesumweltministerium (BMU) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), der Fridays for Future-Aktivistin Pauline Brünger und dem Global Sustainability Officer von Siemens Real Estate Rainer Kohns.

Brauchen absolute Vernetzung

Haas übernahm das Auftaktstatement. Er stellte fest, dass die Klimadebatte zwar zuerst in Branchen wie der Automobil- und der Luftfahrtindustrie geführt wurde, aber: „Wir wissen jetzt, dass bis zu vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen durch die Digitalisierung verursacht werden.“ Trotzdem, sagt Haas, befrage man die Menschen in Deutschland, sagen mehr als die Hälfte, dass die Digitalisierung Teil der Lösung ist. Entscheidend dafür seien die Effizienzgewinne, die durch die Digitalisierung und auch durch die 5G-Technologie erzielt werden können, erklärt er.

Markus Haas, CEO Telefónica Deutschland | Foto: Henrik Andree

Von der Sharing-Economy bis zum intelligenten Einsatz von Elektrofahrzeugen. Durch die Vernetzung der Wirtschaftsbereiche, über Smart Grids und Smart Citys, könne die Energieeffizienz insgesamt gesteigert und der Verkehr auf unseren Straßen „um 50 Prozent verringert“ werden. Hinzu komme, betont Haas:

„5G ist eine Technik, die 90 Prozent energieeffizienter ist pro Gigabyte.“

Am Ende sei aber entscheidend, die Silos der Digitalisierung in den einzelnen Industrien aufzubrechen. Denn „ohne Sensoren, ohne absolute Vernetzung werden wir die Klimaziele in diesem Land nicht erreichen“, ist er überzeugt.

Digitale Mäßigung gefragt

Einen weiteren Impuls für die Debatte lieferte Nachhaltigkeitsforscher Tilman Santarius. Für ihn ist die Digitalisierung „eine Effizienzmaschine ersten Ranges“. Beispielhaft führt er eine „optimierte Logistik“, „konstante Verkehrsflüsse“ und Smart Home-Lösungen an, die helfen, Energie zu sparen. Allerdings gebe es keinen Automatismus, der die Digitalisierung im Handumdrehen in eine Lösung für Nachhaltigkeit verwandle, mahnt er. Mehr Effizienz könne zu einer höheren Nachfrage nach Energie oder bestimmten Gütern führen, die in ihrer Herstellung viel Energie benötigen. Dieser „Rebound Effekt“, erklärt Santarius, müsse verhindert werden. Wie? Durch „digitale Mäßigung“ ist seine Antwort und er ergänzt: „Das Motto könnte sein, so viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich.“

Darüber hinaus fordert Santarius einen „konsequenten Datenschutz“ und eine „gute Datengovernance“. Sein Ziel: „Digitalisierung gemeinwohlorientiert gestalten“ – so, dass jeder etwas davon hat. Gute Regeln für den Umgang mit Daten seien auch für die Ökologie von Bedeutung. Denn Google und Co. nutzen ihre Datenhoheit bisher nur, um den Konsum anzuheizen, kritisiert der Nachhaltigkeitsexperte. Sein Fazit:

„Wir müssen Digitalisierung aktiv gestalten, um die ökologischen, sozialen und ökonomischen Potenziale auszuschöpfen“.

Umweltpolitische Digitalagenda kommt

Diesen Ball nimmt Moderator Ali Aslan direkt auf und eröffnet die Diskussionsrunde. „Hat das BMU eine umweltpolitische Digitalagenda“, fragt er, Umweltstaatssekretärin Schwarzelühr-Sutter. Tatsächlich hat das Ministerium bereits im Mai 2019 Eckpunkte präsentiert. Die fertige Agenda wolle Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am 2. März im Futurium vorstellen, erklärt die Staatssekretärin. „Es ist wichtig zu zeigen, wie wir die Leitplanken setzen, damit die Digitalisierung nicht zum Brandbeschleuniger wird.“

Rainer Kohns, Global Sustainability Officer, Siemens Real Estate, Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium und Moderator Ali Aslan | Foto: Henrik Andree

An die beiden Wirtschaftsvertreter in der Runde richtet Aslan die Frage, was ihre Unternehmen machen, um Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenzubringen. Für Siemens erklärt Rainer Kohns: „Wir waren einer der ersten DAX-Konzerne, der sich ein klares Klimaneutralitäts-Programm gegeben hat – das war 2015.“ Bis 2030 will das Unternehmen CO2-neutral sein. „Wir werden das wahrscheinlich vorher erreichen“, sagt der Nachhaltigkeitsmanager. Dabei spielen Elektrofahrzeuge genauso eine Rolle wie der Einsatz erneuerbarer Energien und verschiedene Instrumente zu CO2-Kompensation. Telefónica setzt schon heute komplett auf „Grünstrom“ und will bis 2025 klimaneutral sein, betont Haas. Zum anderen bestehe der Beitrag zur Nachhaltigkeit darin, „dass wir sicherstellen, das jedes Gigabyte, das in unseren Netzen transportiert wird, CO2-neutral ist“.

Aus Sicht von Nachhaltigkeitsforscher Santarius kann der Einkauf von grünem Strom nur der Anfang sein. Denn „die Digitalisierung wird dazu führen, dass wir mehr Strom verbrauchen“. Da aber verschiedene Industrien und Anwendungen um eine begrenzte Menge grünen Stroms konkurrieren, gehe es auch darum, den Energieverbrauch zu reduzieren, wenn wir zu 100 Prozent erneuerbare Energien nutzen wollen. Dem pflichtet Schwarzelühr-Sutter bei und ergänzt: „Um die Energieeffizienzpotenziale zu heben, kann man die Digitalisierung aber wieder nutzen.“ Dafür sei es aber wichtig, die Weichen jetzt richtig zu stellen.

In dem Zusammenhang mahnt Rainer Kohns:

„Wir haben das Potenzial und den Erfindergeist, die Voraussetzungen sind sehr gut in Deutschland aber trotzdem werden wir von anderen Ländern abgehängt“.

Es mangele oft an Pragmatismus und den richtigen Rahmenbedingungen, um technische Innovationen auch tatsächlich umzusetzen.

Was ist zu tun?

Was muss also geschehen, fragt Moderator Aslan als erstes Pauline Brünger von Fridays for Future. Sie kritisiert: „Das Klimapaket und das Kohleausstiegsgesetz sind nicht ausreichend, um die Klimaziele von Paris einzuhalten“. Es mache sie „sprachlos, dass Deutschland es nicht schafft, seine selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen.“ Brünger plädiert für Mut und Verantwortung in der Politik aber auch in Unternehmen. Sie finde gut, dass sich Firmen wie Siemens und Telefónica eigene Klimaziele setzen, aber das reiche nicht aus. Als Negativ-Beispiel führt sie die Lieferung von Siemens-Technik an ein australisches Kohlebergwerk an, das noch bis 2080 Kohle fördern soll. Am Ende, erklärt Brünger, „können nicht alle geschlossenen fossilen Verträge eingehalten werden“, es müsse Vertragsbrüche geben.

Pauline Brünger, Fridays for Future

Zur Verantwortung seines Unternehmens erklärt Markus Haas: „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen“. Darüber hinaus haben wir als Mobilfunkbetreiber die Aufgabe, alles zu vernetzen, um die großen Energieeffizienzpotenziale zu heben. Dazu müssen „wir hier konsequent vorangehen, keine Angst vor der Digitalisierung haben und auch den Datenschutz an der einen oder anderen Stelle lockern“. Siemens-Manager Kohns erklärt, dass sein Unternehmen schon die Hälfte des Umsatzes mit Produkten wie effizienten Antrieben oder intelligenter Gebäudetechnik, die Energie einsparen helfen, erzielt. „Man kann also mit energieeffizienten Produkten Geld verdienen und viel Gutes dabei tun.“

Effizienz allein reiche nicht. Was wir dringend brauchen, ist eine „Digitalisierung mit Purpose“, meint dagegen Tilman Santarius. Ein Beispiel: „Ich freue mich darüber, dass das BMU Projekte zu KI für Nachhaltigkeit fördert.“ Am Ende sollten aber alle Projekte, die die Bundesregierung fördert, das Kriterium der Nachhaltigkeit berücksichtigen. Pauline Brünger sieht das ähnlich und fordert:

Wir müssen dafür sorgen, dass die Digitalisierung gut für den Menschen ist“.

Transparenz ist der Schlüssel

Wie können wir also eine nachhaltige Digitalisierung gestalten? Aus Sicht von Telefónica CEO Haas ist „Transparenz“ entscheidend. „Wir brauchen Transparenz darüber, dass eine Stunde Streaming so viel Strom verbraucht, wie vier Kilometer Elektroauto fahren.“ Wir brauchen aber auch Transparenz bei Fragen wie: „Welcher Browser ist eigentlich effizienter?“. Multipliziert auf alle Nutzer haben wir da einen großen Effekt, unterstreicht Haas. Am Ende muss für mich klar sein: „Wenn ich Digitalisierung nutze, was tue ich da?“ Dazu gelte es auch noch zu forschen.

Rainer Kohns findet es auch wichtig, globale Zusammenhänge beim Klimaschutz transparent zu machen. „Das Smartphone, dass ich hier kaufe, zahlt auf das CO2-Budget Chinas ein“, erklärt er. Der hohe Treibhausgasausstoß des Landes liegt also auch daran, dass viele Konsumgüter dort und nicht mehr bei uns hergestellt werden. Schlussendlich, sagt Kohns, „sind wir alle aufgefordert, bewusster mit Ressourcen umzugehen, bewusster zu kaufen und vor der Produktwahl zu überlegen.“

Markus Haas, CEO Telefónica Deutschland und Prof. Tilman Santarius, Nachhaltigkeitsforscher, Professor für Sozial-Ökologische Transformation an der TU Berlin und am Einstein Center Digital Future | Foto: Henrik Andree

Tilman Santarius verweist bei der Frage, wie Digitalisierung für die Nachhaltig genutzt werden kann, auf die hohen Hürden. 5G sei dafür ein Beispiel: Ob 5G einen positiven Effekt haben wird, hänge vor allem davon ab, wofür die Technik am Ende genutzt wird. Aber: „Allein der Aufbau des Netzes verschlingt Energie und Ressourcen“, mahnt Santarius. „In der Anwendung muss dann so viel eingespart werden, dass nicht nur das rauskommt, was wir für den Aufbau an Mehraufwand hatten, sondern ein zusätzlicher Beitrag zum Klimaschutz und Ressourcenschonung“. Deshalb sei eine zielgerichtete Digitalisierung so wichtig.

Aus Sicht von Markus Haas kann am Anfang einer Technologie noch kein Masterplan stehen, „der genau sagt, 5G bringt genau das“. Aber „es ist die effizienteste Mobilfunktechnologie, die wir heute kennen. Und wenn ich die Chance habe, mit der Technologie 50 Prozent des Verkehrs und darüber hinaus Energie einzusparen, dann muss ich daran weiterarbeiten„, ist er überzeugt. Darüber hinaus könne man Transparenz schaffen, den Nutzern aber nicht vorschreiben wie sie das Mobilfunknetz nutzen sollen. Das sei auch eine Frage der „Netzneutralität“.

Nachhaltigen Konsum erleichtern

Auch das Publikum kam in der Debatte zu Wort. Ein Thema von Interesse: Der nachhaltige Verbraucher. Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter ist der Ansicht: „Wir müssen den Konsumenten einen einfachen Einstieg ermöglichen“. Pauline Brünger mahnt: „Nachhaltigen Konsum kann sich nicht jeder leisten“ und Rainer Kohns plädiert für die Kreislaufwirtschaft und wirbt für die Reparatur und Wiederverwendung von elektrischen Geräten. Am Ende, findet Santarius, „können wir die Verantwortung nicht auf den einzelnen Konsumenten abwälzen“. „Nachhaltiger Konsum muss einfacher werden“. Hier gebe es noch viele schlechte Anreize und Rahmenbedingungen.

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In der abschließenden Fragerunde betont der Nachhaltigkeitsforscher: „Es ist noch lange nicht ausgemacht, dass die Digitalisierung nachhaltig wirkt“. Es komme ganz auf die Gestaltung an. Markus Haas sieht „die Bilanz erstmal ausgeglichen“. „Ich bin aber zu 100 Prozent überzeugt, dass es uns gelingen wird“, die Digitalisierung positiv zu nutzen. Die Geschichte zeige, dass technischer Fortschritt helfe, die bestehenden Probleme anzugehen. Dazu müssen wir „mutig und leidenschaftlich vorangehen“. Für die Bundesregierung versprach Schwarzelühr-Sutter, Leitplanken zu setzen, um die ambitionierten Klimaziele mit der Digitalisierung zu erreichen. Die Gesellschaft müsse dazu aber auch „gemeinsam handeln“. „Ich bin gespannt, was vom Bundesumweltministerium kommt“, erwiderte Pauline Brünger und fügte hinzu: „Ich glaube, dass es wichtig ist, in den nächsten Monaten kritisch dranzubleiben.“

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